Wozu totschütteln?

Heinz Weidt (Anmerkungen: Andrea Wanek)

Wann und warum sollte ein Welpe totschütteln lernen?

Jagdgebrauchshundewelpen beginnen im Alter von etwa sechs bis acht Wochen damit, ihre "Beute", das heißt entsprechende Futterstücke "totzuschütteln". Während diese spontanen Totschüttelbewegungen angeboren sind, also nicht erst erlernt werden müssen, bedarf es zum Reißen und Zerkleinern der Futterstücke (Beute) der Möglichkeit des Lernens. Werden also einem Welpen die Möglichkeiten selbständigen Futterreißens vorenthalten und immer nur abschluckgerechtes Futter geboten, so wird er als erwachsener Hund kaum mehr in der Lage sein, selbständig mit größerem Futterbrocken zurechtzukommen.


Beachtenswert ist aber auch, dass das Totschütteln aus der Sicht des Triebgeschehens eine außerordentlich lustbetonte und luststeigernde Handlung ist. Sie ist für den erwachsenen Hund, sofern er nicht übermäßig hungrig ist, sogar wichtiger und befriedigender als die Möglichkeit, die erjagte Beute tatsächlich verzehren zu können.
Erfolgt die Aufzucht und Haltung unter Bedingungen, die eine naturgemäße Fütterungsweise einschließen, so entspricht das instinktive Totschütteln beuteähnlicher Nahrung gewissermaßen regelmäßigen "Trockenübungen" wichtiger motorischer Abläufe. Totschüttelbewegungen dienen also keinesfalls, wie oft angenommen wird, dem Abschütteln von etwas anhaftenden Futterflocken, sondern dem Training für das töten erjagter Beute. Einem so vortrainierten Jagdgebrauchshund wird es deshalb relativ leicht fallen, einem verletzten Beutetier durch gekonntes Totschütteln weitere Qualen zu ersparen. Durch weitere praktische Erfahrungen kann dann ein immer besserer Griff erlernt werden.


Damit besitzt er erprobte, verfeinerte und sichere motorische Fähigkeiten, um sich später auch mit wehrhafter Beute (Raubwild, Raubzeug) erfolgreich auseinandersetzen zu können. Das ist notwendig, denn in solchen Fällen besteht für den Hund stets die Gefahr, durch das Zurückbeißen des wehrhaften Beutetieres verletzt zu werden. Deshalb wird er zwangsläufig lernen müssen, so zuzufassen, dass ein Zurückbeißen nicht möglich ist. Das wird durch ein Fassen am Nacken erreicht. Auf diese Weise kann der Hund den richtigen Nackengriff beziehungsweise den Nackenbiß erlernen.


An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass wir gerade das Totschütteln der Beute beim Dummytraining doch vollkommen unterbinden und eigentlich dem Hund natürliches, instinktives Verhalten abtrainieren, dass wir dann bei der Jagd aber sehr wohl wieder von unseren Hunden verlangen!

Nackenschütteln


Weiters gibt es immer noch Hundeführer die ihre Hunde im Nacken schütteln ohne zu wissen, dass dies für den Hund folgendes bedeutet: " ICH TÖTE DICH JETZT!" Und es kann für die Entwicklung eines Welpen ungeahnte negative Folgen haben, wenn wir ihm als Hundführer mit dem Tot drohen. Sehr wohl üben die Welpen untereinander den Nackenbiß im Spiel, aber im Spiel wird vieles nicht ernst genommen und es dient zur Übung. Es wird jedoch niemals ein Hund bei einem anderem fremden und womöglich erwachsenen Hund diesen Nackenbiß anwenden, außer er möchte ihn töten! Auch die Mutterhündin wird ihre Welpen nicht am Nacken fassen, da hier die Verletzungsgefahr zu groß wäre.


Das Totschüttel-Beispiel zeigt, wie aus zum Teil angeborenen und zum Teil erworbenen Bewegungs- und Verhaltensabläufen eine vollständige Handlungskette geknüpft werden kann. Dies lehrt uns auch die Notwendigkeit der richtigen Abfolge aufeinander aufbauender und sich ergänzender Lernergebnisse. Scheitern Jagdhunde an den ihnen gestellten Aufgaben, so werden die Ursachen oft in dem Fehlen oder in der falschen Reihenfolge von motorischen Lernergebnissen zu suchen sein. Die wissenschaftliche Grundlage dieser Einsicht ist vor allem dem Ethologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt zu verdanken, der unter anderem bereits "Angeborenes und Erworbenes im Verhalten einiger Säuger" eingehender untersucht hat. Würde daher ein Jagdhund, der im artgemäßen Nahrungserwerb und im Umgang mit nicht wehrhafter Beute unerfahren ist, in eine Auseinandersetzung mit wehrhafter Beute geraten, so wäre die Wahrscheinlichkeit eines für ihn negativen Ersterlebnisses sehr groß. Daraus könnte dann ein weichenstellendes Meideverhalten folgen, mit dem jedes weitere handlungsverbessernde Lernen verhindert wird. In solchen Fällen ist man dann häufig allzu schnell geneigt, das Unvermögen des Hundes in einem "erblichen Wesensmangel" zu sehen. Diese Auffassung wird oft durch die keineswegs zutreffende Annahme gestützt, der gekonnte Umgang mit wehrhafter Beute sei ausschließlich auf eine "angeborene Schärfe" zurückzuführen.


So kann bei Jagdgebrauchshunden nicht nur die Motorik des Beutemachens früh eintrainiert werden, sondern auch die besondere Art und Weise der Fortbewegung in einem Fuchsbau, das Schwimmen oder ganz allgemein die "Geländegängigkeit" in erschwerten und hindernisreichen Situationen geradezu prägend gefördert werden.

Wie praktische Erfahrungen immer wieder zeigen, scheint vor allem beim Apportieren, also dem Aufnehmen und Tragen von Gegenständen, eine motorische Prägung vorzuliegen. Haben Welpen im Alter von etwa 6-10 Wochen ausreichend Gelegenheit, Gegenstände zu apportieren, die ihnen Erfolg oder Lust bereiten (z.B. Futterstücke oder Spielgegenstände), so entwickeln sie sich im Allgemeinen später als apportierfreudig. Entscheidend ist dabei, dass dieses motorische Lernen vom menschlichen Partner ermöglicht und im Bedarfsfalle zweckgerichtet kanalisiert wird. Scott und Fuller sprechen von einer kritischen Periode während des Erlernens des Apportierens, in einem Alter zwischen acht und zehn Wochen.
Aus alldem ist ersichtlich, dass wir unserem Hund bereits im Welpenalter alle notwendigen Entwicklungsbedingungen bieten müssen. Dies geschieht aber immer nur dann optimal, wenn für einen Hund im Sinne seines jeweiligen "Verwendungszweckes" die entsprechende "natürliche" Situation von Geburt an erfüllt ist und selbstverständlich bedarf es beim Familienhund dazu keines motorischen Trainings für den Beutefang.

Aus dem Buch "Der Hund mit dem wir leben: Verhalten und Wesen" von Heinz Weidt